Wie viel bezahlbarer Wohnraum fehlt in Trier?

von Michael Mießner

Die Stadt Trier hat das GEWOS-Institut mit der Erstellung einer Wohnraumbedarfsanalyse beauftragt, die Entscheidungsgrundlage für die weitere Wohnungspolitik in der Stadt sein soll. Die Ergebnisse des Berichtes wurden am 15. März in der Sitzung des Umwelt- und Hauptausschusses vorgestellt. Die dargestellte Ermittlung des aktuellen Wohnraumbedarfes weist einige Lücken auf, die die Bilanzierung des Mangels an bezahlbarem Wohnraum methodisch sehr intransparent erscheinen lassen.

Ziel und Vorgehen des Berichtes

Der Bericht des GEWOS-Institutes nennt zwar kein ausdrückliches Ziel der Untersuchung, er legt aber eine Wohnraumanalyse und -bedarfsprognose vor. Die Prognose beruht auf einer Wohnraumangebots- und -nachfrageanalyse sowie auf der Bevölkerungsvorausberechnung der Stadt Trier. Aus den Ergebnissen diese Analyse werden schließlich verschiedene Handlungsempfehlungen abgeleitet.

„Bilanzierung der sozialen Wohnraumversorgung“

In meinem Beitrag konzentriere ich mich auf das Kapitel 2.5, die „Bilanzierung der sozialen Wohnraumversorgung“ (S. 33-38). Hier geht es um eine Status-quo-Analyse des Mangels bzw. des Überangebotes preisgünstiger Wohnungen. Das erklärte Ziel dieses Kapitels des GEWOS-Berichtes ist „das Erkennen von Versorgungsengpässen und potenziellen Handlungsbedarfen im preisgünstigen Segment“ (S. 33). Es werden allerdings einige methodische Schwächen und Ungereimtheiten deutlich.

Problem Ermittlung der Nachfrage nach Einkommensklassen

Die Ausführungen zur „Methodik der Analyse“ (S. 33) sind denkbar knapp und enthalten viele Erläuterungen zur Definition. Für die Abgrenzung der Nachfrage nach „preisgünstigen Wohnungen“ (S. 34) werden die Einkommenskriterien des Wohnraumförderungsgesetzes (WoFG) von Rheinland-Pfalz herangezogen. Zur Modellierung der Anzahl von Haushalten, die zurzeit preisgünstigen Wohnraum nachfragen, wurden „die aktuellen Ergebnisse des Mikrozensus für Rheinland-Pfalz zur Einkommenssituation der Privathaushalte […] auf die Stadt Trier übertragen“ (S. 34) – überraschender Weise fehlt ein Hinweis auf die Quelle zur Einkommenssituation in Rheinland-Pfalz im Quellenverzeichnis, sodass nicht nachvollzogen werden kann um welche Daten es sich konkret handelt. Die Übertragung der Einkommenssituation von Rheinland-Pfalz auf Trier geschah unter Hinzuziehung der Haushaltsgrößenstruktur der Stadt Trier. Es ist allerdings fraglich, inwiefern die Einkommensstruktur von Rheinland-Pfalz der lokalen Einkommensstruktur von Trier entspricht. Zum Beispiel ist die Arbeitslosenquote in Rheinland-Pfalz mit 4,35% (2019) niedriger gewesen als jene in Trier, die 4,91% betrug (INKAR, Datenabruf: M.M.). Umgekehrtes gilt für die Beschäftigtenquote. Diese war in Rheinland-Pfalz mit 59,72% deutlich höher als in Trier mit 45,6% (INKAR, Datenabruf: M.M.). Auch zeigt die Kaufkraftverteilung innerhalb von Rheinland-Pfalz eine erhebliche Differenzierung, wie Abbildung 1 zeigt – die Kaufkraft Triers liegt unter der durchschnittlichen Kaufkraft von Rheinland-Pfalz. Diese Daten deuten darauf hin, dass GEWOS mit ihrem Vorgehen die in Trier verfügbaren Einkommen zu hoch einschätzt. Diese Punkte lassen die Übertragung der Einkommensstruktur von Rheinland-Pfalz auf Trier zumindest fraglich erscheinen.

Problem Ermittlung des Angebotes im preisgünstigen Mietwohnungssegment

Die Festsetzung der Mietpreissegmente erfolgt ebenfalls entsprechend des WoFG. Die Zahl des aktuellen Angebotes dieser Wohnungen wird nach folgendem Schema ermittelt: GEWOS hat Zugang zu einem Datensatz der VALUE AG für Trier für die Jahre 2018-2020, in dem Mietwohnungsangebote enthalten sind, die über Internetportale wie immowelt oder immobilienscout24 u.Ä. angeboten werden. Zusätzlich hat GEWOS eine Datenabfrage bei „der Wohnungswirtschaft“ (S. 24) gemacht. Was Letztere genau sein soll, kann nur spekuliert werden. Wahrscheinlich hat GEWOS Trierer Wohnungsgenossenschaften und größere Wohnungsgesellschaften angefragt. Auch wird nicht erläutert, wie viele Mietangebote der Wohnungswirtschaft in die weitere Analyse eingehen. Inwiefern die angefragten Unternehmen die Trierer Wohnungsunternehmen und Vermieter*innen in geeigneter Weise abbilden, ist völlig unklar.

Aus diesen beiden genannten Quellen hat GEWOS „über 6.400 Angebotsmieten bzw. Neuvertragsmieten in die Analyse“ (S. 34) einbezogen, die dem preisgünstigen Mietwohnungsbestand zuzurechnen sind. Dabei wird nicht verdeutlicht, wie GEWOS die Daten von VALUE und „der Wohnungswirtschaft“ für die weitere Analyse gewichtet. Je nachdem, wie dies geschehen ist, könnten dadurch erhebliche Verzerrungen in den Datensätzen entstehen.

Aufbauend auf die so generierten Daten wurden für die Wohnungsgrößenklassen des WoFG die in diesem Datensatz enthaltenen preisgünstigen Mietwohnungen ermittelt. Diese Zahlen wurden anschließend „mit dem Gesamtbestand in den einzelnen Wohnungsgrößenklassen multipliziert“. Bei dieser Art der Ermittlung werden die Angebots- und Neuvertragsmieten als repräsentativ für den gesamten Mietwohnungsmarkt in der Stadt Trier angenommen. Diese Mieten stellen aber nur ein ganz spezielles Segment des Mietwohnungsmarktes dar. Die übrigen Mietwohnungen haben teilweise länger zurückreichende Bestandsmietverträge, die insbesondere in einem angespannten Mietwohnungsmarkt wie dem von Trier deutlich günstiger sind. Es ist allerdings fraglich, ob Bestandsmietwohnungen überhaupt für den aktuellen Bedarf eine Relevanz haben, sind sie doch für Wohnungssuche überhaupt nicht verfügbar.

Ergebnisse

Die schließlich erfolgende „Bilanzierung“ der Wohnungsbestände für das preisgünstige und das mittlere Preissegment besteht dann in einer Gegenüberstellung der ermittelten Zahl der Nachfrager*innen entsprechend von Einkommensgruppen und der Zahl der preisgünstigen Wohnungsangebote. Allerdings geschieht dies für eine „jährliche Nachfrage nach“ und „ein jährlich verfügbares Angebot […] im preisgünstigen Segment“ (S. 35, Herv. M.M.). Im vorangegangenen Methodenteil erläutert GEWOS allerdings nur, wie es auf die gesamte Zahl der Haushalte mit geringen Einkommen und die gesamte Zahl der Wohnungen in verschiedenen Preissegmenten in Trier kommt. Um die Zahl der jährlichen Nachfrage nach preisgünstigen Wohnungen zu ermitteln, sind Informationen über das Umzugsverhalten (nach Einkommensklassen) notwendig. Gleiches gilt für das jährliche Angebot. Hier sind Informationen über die jährlich freiwerdenden oder neu gebauten Mietwohnungen essentiell. GEWOS erläutert nicht, wie dies ermittelt wird, und tut vielmehr so, als sei das Teil der vorherigen Ausführungen („Unter Berücksichtigung der getroffenen Annahmen ergibt sich …“, S. 34). Inwiefern die Bilanzierung für die jährliche Nachfrage und das jährliche Angebot sinnvoll ist, kann also aus den Erläuterungen von GEWOS nicht nachvollzogen werden. Inwiefern das Vorgehen des Gutachtens wissenschaftlichen Kriterien genügt, ist den Ausführungen nicht zu entnehmen. Der/die Leser*in muss GEWOS vertrauen.

Für das preisgünstige Segment ermittelt GEWOS ein Fehlen von 1.200 Wohnungen der Größe bis 50m² sowie von 400 Wohnungen in der Wohnungsgrößenklasse von 50 bis 60m². Dagegen berechnet GEWOS einen Angebotsüberhang von 200 Wohnungen für die Größe von 60 bis 80m². In der Bilanz gibt GEWOS schließlich aus, dass 1.400 Wohnungen fehlen würden (Tabelle 1). Diese Gesamtbilanzierung verdeckt allerdings, dass es in der Realität weder den 1- noch den 2-Personenhaushalten, die keine Wohnung in der jeweiligen Größe finden, möglich ist, in eine noch größere Wohnung auszuweichen. Immerhin verweist GEWOS darauf, dass nicht alle angebotenen preisgünstigen Wohnungen auch von einkommensniedrigen Einkommensgruppen bezogen werden können:

„Bei dieser rechnerischen Bilanz ist zu berücksichtigen, dass auch Haushalte mit einem höheren Einkommen auf dem Wohnungsmarkt als Konkurrenten auftreten und preisgünstigen Wohnraum in allen Größenklassen belegen können, sodass diese Wohnungen für preissensible Haushalte aktuell nicht unbedingt verfügbar sein müssen.“ (S. 36)

Quelle: GEWOS, S. 35.

Nach dem gleichen Muster bilanziert GEWOS auch das mittlere Preissegment. Hier orientiert sich GEWOS an den Vorgaben für die Wohnbauförderung in Rheinland-Pfalz: „niedrige Einkommen dürfen […] um bis zu 60% überschritten werden“ (S. 36) und höhere Mietgrenzen für die verschiedenen Wohnungsgrößenklassen. Wie viele Angebote aus der VALUE-Marktdatenbank und aus der Abfrage der Wohnungswirtschaft in diese Berechnungen einfließen konnten, erfährt man leider nicht. Für das Mittelpreissegment bilanziert GEWOS schließlich jeweils 400 fehlende Wohnungen in der Größenklasse bis 50m² und der Größenklasse 50 bis 60m² sowie einen leichten Angebotsüberschuss für die anderen Größenklassen. Auch hier wird eine Gesamtbilanz (-500) ausgewiesen (Tabelle 2).

Quelle: GEWOS, S. 37.

Schließlich ermittelt GEWOS eine Gesamtbilanz für das preisgünstige und mittlere Mietsegment (Tabelle 3).

Quelle: GEWOS, S. 38.

Fazit: Aussagen zur sozialen Wohnraumversorgung kaum möglich

Auf den ersten Blick wirkt das Vorgehen zur Bilanzierung der sozialen Wohnraumversorgung schlüssig, es weist jedoch einige Ungereimtheiten und erhebliche methodische Leerstellen auf. Die Übertragung der Einkommensstruktur von Rheinland-Pfalz auf Trier kann mindestens hinterfragt werden. Die Ermittlung der unterschiedlichen Mietpreissegmente ist sehr fragwürdig. Es wird weder erläutert, wie viele Angebote für die weitere Analyse der VALUE-Marktdatenbank und wie viele der Abfrage der Wohnungswirtschaft entspringen, noch welchen Teil des Wohnungsmarktes die befragten Wohnungsunternehmen überhaupt abbilden. Es ist auch nicht nachvollziehbar, wie GEWOS die jährliche Nachfrage nach preisgünstigen Wohnungen berechnet. Die äußerst knappe Darstellung des methodischen Designs und die darin auftretenden Ungereimtheiten können so wissenschaftlich nicht überprüft und damit die Modellergebnisse nicht nachvollzogen werden.

Aufbauend auf diesen Berechnungen kommt GEWOS für die Frage nach bezahlbarem Wohnraum zu folgender Handlungsempfehlung (S. 82-83). Die schon eingeführte Quote für bezahlbaren Wohnraum bei Wohnungsneubau habe „einen Teil der Verluste an preisgedämpften Wohnungen ausgleichen“ können. Diese Einsicht ist vergleichsweise banal, stellt man dem Abgang von preisgebundenem Wohnraum den bisherigen Zugang preisgebundenen Wohnraums entgegen. Weiter wird gefordert, diese verbindliche Quote beizubehalten „bis sich eine Entspannung des Wohnungsmarktes abzeichnet“. Weitere konkrete Lösungsvorschläge sucht man zum Thema bezahlbares Wohnen vergeblich. Die Stadtpolitik kann sich insofern glücklich schätzen – folgt man GEWOS, macht die Stadt schon alles richtig. Nicht einmal in anderen Kommunen angewandte Instrumente wie das Erbbaurecht, Bodenfonds oder Bodenbevorratung werden als mögliche Handlungsalternativen auch nur genannt (diese und weitere wohnungspolitische Instrumente sind hier übersichtlich zusammengestellt). Für eine so einfache Handlungsempfehlung hätte es wirklich nicht eines solchen umfangreichen Gutachtens bedurft.

Hier kann der gesamte Bericht eingesehen werden:

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